FAZ-KOLUMNE „GESUNDHEITSMYTHEN“: Schützt Zahnseide vor dem Herzinfarkt? Von Johanna Kuroczik 03.05.2025

Jeder weiß, Zahnseide ist die Lösung. Zumindest für gefühlt alle Probleme, die einen Besuch beim Zahnarzt erfordern.
Liegt man im blendenden Neonlicht auf dessen Folterstuhl, mit unnatürlich überstrecktem Hals, den Mund weit aufgerissen, stellt der nach nachdenklichem Blick auf unsere Zahnhälse stets diese eine Frage: „Benutzen Sie regelmäßig Zahnseide?“ Plaques, Zahnfleischbluten, Karies? Zahnseide!
Für den Zahnarzt ist das im Grunde Arbeitserleichterung, denn in geschätzt neun von zehn Fällen trifft er damit ins Schwarze. Denn wer benutzt schon regelmäßig Zahnseide außer radikal Gesunden, die keinen „Industriezucker“ essen und vor der Arbeit ins Fitnessstudio gehen, und Julia Roberts?
Meist folgt auf diese Frage darum nur ein schuldbewusster Blick gen Boden oder was man in dieser unbequemen Position davon sehen kann.
Niedrigeres Risiko für Schlaganfälle
Doch nicht nur, um die Frage einmal stolz mit „Ja!“ beantworten zu können – und somit den Zahnarzt aus dem Konzept zu bringen –, könnte es sich lohnen, jeden Tag Fäden durch die Zahnzwischenräume zu zwirbeln.
Immer wieder heißt es, das weiße Plastikgarn sei auch gesund für das Herz und schütze vor Herzinfarkten und Schlaganfällen. Diese frohe Botschaft verkünden Zahn-Influencer (ja, die gibt es!) auf sozialen Medien. Was ist dran?
Dieses Jahr sind glücklicherweise gleich mehrere Studien hierzu erschienen: In einer wurden mehr als 6000 Menschen über 25 Jahre zu ihren Zahnseide-Gewohnheiten, oder „Dental floss“, befragt. Verglichen mit den „Non-Flossern“ hatten jene, die regelmäßig Zahnseide benutzten, ein um 20 Prozent niedrigeres Risiko für Vorhofflimmern und bis zu 44 Prozent weniger für Schlaganfälle. Eine andere Studie befand, täglich Zahnseide zu benutzen, war mit einem 29 Prozent niedrigeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert.
Natürlich konnten die Studien nur Zusammenhänge finden und keine Kausalitäten belegen. Aber viel solidere Evidenz für Zahnseide lässt sich nicht so einfach in Studien an Menschen erreichen.
Entzündungen im Zahnfleisch schädigen Blutgefäße
Nun fragt man sich, was Reste vom Grillhähnchen und Spinatsalat zwischen Backenzähnen mit Schlaganfällen zu tun haben.
Der Mechanismus dahinter geht so: Herzinfarkte und Schlaganfälle gehen auf Arteriosklerose zurück, wo sich Ablagerungen unter anderem aus Blutfetten in den Adern bilden, die für Entzündungen sorgen. Irgendwann ist das Blutgefäß so verengt, dass kein Blut mehr durchfließen kann, oder der Plaque wird vom Blutstrom mitgerissen und verstopft ein kleinere Arterie, zum Beispiel im Gehirn oder am Herzen.
Nun sorgen Essensreste zwischen den Zähnen für Bakterienorgien und chronische Entzündungen im Zahnfleisch. Da dies sehr gut durchblutet ist, werden Keime und Entzündungsfaktoren in die Blutgefäße und so durch den Körper getragen.
Darum ist Parodontitis ein bekannter Risikofaktor für allerlei Erkrankungen. Diese zu behandeln, etwa indem man regelmäßig Zahnseide benutzt, senkt Entzündungen im Blut. Besonders Menschen mit Diabetes Typ 2 sollten darum regelmäßig „Flossing“ betreiben, rät die amerikanische Gesundheitsbehörde.
Bevor man damit loslegt, gilt es noch, die optimale Anwendung zu klären. Immer wieder wird gewarnt, man soll Zahnseide nicht „falsch“ benutzen. Manch sadistischer Zahnarzt zwingt einen gar, es vor seinen Augen zu tun, um die Technik zu prüfen. Eigentlich wirkt Zahnseide vom Konzept her ähnlich anspruchsvoll wie Duschen oder eine Autotür zu öffnen, was kann da schiefgehen?
Fragen wir Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer. „Eine nicht korrekte Anwendung – Sägebewegungen, zu hoher Druck – kann das Zahnfleisch verletzen“, sagt er. „Eine falsche Technik – falsche Bewegungen, ein zu kurzes Stück Zahnseide – verringert die Reinigungswirkung.“
Darum gilt: Zahnseide immer vor dem Zähneputzen benutzen, für jeden Zahnzwischenraum eine neue saubere Stelle nehmen und statt den Faden ins Zahnfleisch zu sägen, schabt man an der Zahnseite entlang, gen Mundhöhle. Wer es noch einfacher mag, nimmt Interdentalbürsten. Die können sogar bessere Ergebnisse liefern als Zahnseide.
Fazit: Zahnseide lohnt sich. Für die Gesundheit von Zahnfleisch und Blutgefäßen und obendrein ist es ein ganz neues und herrliches Gefühl, auf dem Zahnarztstuhl gelobt zu werden.